Die Gartetalbahn
Nur wenigen ist heute bekannt, das es einst im Süden der Universitätsstadt Goettingen eine Kleinbahn gab. Vom einstigen Gartetalbahnhof, unweit des Staatsbahnhofes, dampften die Züge auf schmaler Spur (750 mm) durch das liebliche Gartetal nach Rittmarshausen, früher sogar bis Duderstadt. Viel erinnert heute nicht mehr an diese Schmalspurbahn, doch es gibt viele Erinnerungen. Diese sind auf den verlinkten Seiten im Internet ausführlich beschrieben. Daher verzichten wir an dieser Stelle auf weitere Ausführungen.
Sehr empfehlenswert ist der Text "Die Gartetalbahn - einer kleine Geschichte einer kleinen Bahn"
http://www.bahntrassenradwege.de/index.php?page=gartetalbahn
https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%B6ttinger_Kleinbahn
https://kulturerbe.niedersachsen.de/objekt/isil_DE-89_av-portal_15203/1/
Nachstehender Text wurde dem Verein von Herrn Manfred Bauersachs aus Göttingen im Okt. 22 zum 125. Jahrestag der Gartetalbahn zur Verfügung gestellt. Er schildert eindrucksvoll, kurz und knapp die Geschichte der Bahn. Ein herzliches Dankeschön geht an den Textverfasser, der für den Inhalt verantwortlich ist. Die eingefügten Lichtbilder vergrössern sich beim Anklicken.
Die Gartetalbahn – eine kleine Geschichte einer kleinen Bahn
Es sind jetzt grad‘ zwei Jahre her,
dass man beschloss recht inhaltsschwer,
von Göttingen durchs Gartetal
zu bauen eine Eisenbahn.
Man sandt dazu ‘nen Ingenieur,
der vordem war beim Militär.
Im Landauer kam er herbei
und fragte frank und frei,
wie hoch man über ‘m Nullpunkt sei.
Mit diesen launigen Worten leitete Conrad Lichtenberg sein Gedicht anlässlich der Einweihung der Göttinger Kleinbahn am 7.12.1897 ein [7]. Die Realität sah freilich etwas anders aus.
Aller Anfang ist schwer
In einer 15 Jahre währenden Anstrengung versuchten interessierte Kreise das Gartetal an die Welt anzuschließen. Initiiert von Amtsrichter Münchmeyer aus Reinhausen wurden 1882 erste Planungen für den Bau einer Strecke durchgeführt. Unabhängig von den technischen Untersuchungen zur Trassierung waren aber auch Mitstreiter zu gewinnen, um mit Nachdruck die politischen und verwaltungstechnischen Wege zu beschreiten, die zu einer Genehmigung eines solchen Bahnprojektes notwendig waren. Untrennbar mit diesen Aufgaben verbunden war aber auch die Auslotung der Möglichkeiten zur Finanzierung von Bau und Betrieb und zu möglichen Geschäftsformen einer Bahn.
Bei den Magistraten von Göttingen und Duderstadt, den dortigen Geschäftsleuten sowie beim „Bauerstand“ und ansässigen Betrieben wurde für das Projekt geworben. In Kerstlingerode fand ein Jahr später eine erste Versammlung für Interessenten an einer „Straßenbahn mit Dampfbetrieb „Göttingen-Diemarden-Kerstlingerode-Nesselröden-Duderstadt“ mit einer Zweiglinie über Reinhausen (!) nach Bremke statt. Noch im selben Jahr wurde eine Petition an den Minister für öffentliche Arbeiten in Berlin gerichtet, mit der Bitte, von Staatsseite Vorarbeiten zum Bau einer Vollbahn nach Duderstadt, gegebenenfalls einer Schmalspurbahn anzusetzen.
Nun, seine Exzellenz, Herr Minister von Meybach, lehnte ab. In den nächsten Jahren sollte es mehrere Versuche geben, mittels eines Komitees, der Gründung einer Aktiengesellschaft, dem Unterbreiten verschiedener, ausgearbeiteter Pläne aus Berlin doch noch eine Unterstützung oder Genehmigung für Bau und Betrieb dieser Bahnlinie zu erhalten. Es wurde um die Streckenführung und um die „richtige“ Spurweite gerungen, die Vorteile einer regelspurigen Bahn (Spurweite 1437mm) mit direktem Anschluss an die Bahnstrecken in Göttingen und in Heiligenstadt oder Leinefelde gegen die einer Schmalspurbahn (Spurweite 750mm) mit geringeren Bau- und Betriebskosten, aber auch geringerer Transportleistung abgewogen. Die Akti-engesellschaft umwarb Städte, Dörfer, Betriebe und Privatpersonen; es ist nachvollziehbar, dass die Bereitschaft Aktien zu zeichnen, von der Lage der Gemeinden oder Betriebe zum nächsten Anschlusspunkt abhing oder inwieweit nun Duderstädter und Göttinger Geschäftsleute oder die geplanten Zuckerfabriken in Duderstadt und Rittmarshausen sich als zukünftige Konkurrenten sahen. Schließlich musste auch für die Bereitstellung von Grund und Boden Überzeugungsarbeit geleistet werden. Und letztendlich war dann auch noch Geld aufzunehmen, um Grunderwerbs- und Baukosten zu schultern, wofür wiederum die Provinzialverwaltung in Hannover zuständig war, die daher eine erneute Vermessung der Trasse durchführen ließ und eine Rentabilitätsrechnung vornahm.
Die Dokumentation dieses langwierigen Prozesses können interessierte Leser detailliert im Buch von Karl Burmeister ([1]) nachlesen, seine Darstellung würde den hier vorgegebenen Rahmen sprengen.
Ein hoffnungsfroher Start
Und so wurde am 16.11.1896 die Göttinger Kleinbahn Aktiengesellschaft gegründet, die das renommierte Eisenbahnunternehmen Lenz & Co (s. z.B. [1], S. 47, [3]) mit dem Bau, der Bereitstellung der Betriebsmittel und auch der Betriebsführung für die folgenden 25 Jahre beauftragte.
„Am 27. Juli 1897 war der Göttinger Kleinbahn AG die Konzession zum Bau und Betrieb der Bahn von „Göttingen nach Rittmarshausen im Gartetal behufs Beförderung von Personen und Gütern mittels Dampfkraft ertheilt worden“ ([1], S. 27) und so erfolgte schließlich, nachdem am Tag zuvor die landespolizeiliche Abnahme erfolgt war, am 7. Dezember 1897 die feierliche Einweihung unserer unvergessenen Kleinbahn und sie nahm ihren Weg, so wie es Amtsrichter Münchmeyer und sein Ingenieur Heusinger von Waldegg schon 15 Jahre zuvor vorgeschlagen hatten.
(Lok 12 verlässt Göttingen Süd im Sommer 1953, Foto: H.H. Meyer, Sammlung Bauersachs)
Ausgestattet mit 3 zweiachsigen Lokomotiven, 6 Personenwagen, die zunächst die II. und III. Klasse führten, einem Gepäckwagen, 32 offenen und 10 gedeckten Güterwagen nahm unsere Kleinbahn am 19. Dezember des Jahres nun den Betrieb auf. Sie transportierte Personen mit zunächst 3 täglichen Zugpaaren (einschließlich eines Gepäck/Postwagen mit Postbeamten!) mit einer Geschwindigkeit von 20km/h zwischen Göttingen und Rittmarshausen, brachte Futtermittel und Kohle und sonstige Güter in das Gartetal, transportierte landwirtschaftliche Produkte, vornehmlich Getreide und Rüben, aber auch Sand, Steine und Holz nach Göttingen. Die Bahn mit ihren zunächst 14 Haltepunkten erleichterte Arbeitern, Handwerkern und Marktfrauen die Anfahrt zu ihren Arbeitsstellen (Gesamtfahrzeit etwa 1h 45min) und brachte mit dem Transport von Mühlenprodukten, von Baumaterial u.v.a.m. Umsatz und erhöhtes Einkommen für die Bewohner des Gartetales. Nicht vergessen werden sollten die Beschäftigten der Bahn (ursprünglich 15 Beamte und Arbeiter) und die Betreiber der Tarifpunkte (wie Karl Otter in Benniehausen), für die sich ein neues Betätigungsfeld eröffnet hatte.
Die Kleinbahn leistete aber auch ihren Beitrag zur kulturellen Vielfalt. Sonderzüge ermöglichten z.B. den Besuch des in Göttingen gastierenden berühmten Circus Cörty-Althoff ([1], S.43) oder der vom Raucherclub (!) in Nesselröden organisierten Theaterabende ([8], S. 236). Ob die Initiatoren der Bahn wohl abgesehen haben, in welchem Umfang nicht nur die Göttinger Studenten sondern auch Sommerfrischler und Sonntagsausflügler die Kleinbahn nutzen würden? Die Sitzplatznachfrage war schon bald so groß, dass eigens für die Ausflügler zusätzlich 9 Güterwagen als behelfsmäßige, sogenannte Sommerwagen, umgerüstet wurden. Die Gaststätten wie Landwehrschenke, Garteschenke, die Bahnhofsgaststätten in Diemarden, in Klein Lengden, in Benniehausen, in Rittmarshausen, nicht zu vergessen das berühmte Waterloo oder die Waldschänke der „Mutter Specht“, sie alle profitierten vom Ausflugsverkehr; wer würde heute nicht gerne dort noch einmal einkehren dürfen? Sogar in schwerer Zeit bot z. B. der Ausflug in das Gartetal mit einer Wanderung „zu den Gleichen“ Gelegenheit zum Durchatmen, wie wir aus dem glücklicherweise erhalten gebliebenen Familienfilm der Familie Henze aus dem Jahr 1941 ([2]) entnehmen können.
(Am Haltepunkt Eichenkrug, Foto: D. Luckmann, Sammlung Bauersachs)
Die Gartetalbahn in schweren Zeiten
Wenden wir uns nun wieder - etwas weniger nostalgisch gestimmt - auch ernsteren Aspekten der weiteren Geschichte der Bahn zu, transportierte sie doch nicht nur die Reisenden durch das liebliche Gartetal sondern war auch ihr Begleiter durch Weltwirtschaftskrise, zwei Weltkriege und schließlich die Wirtschaftswunderjahre.
Schon wenige Jahre nach Aufnahme des Betriebes und der steigenden Lasten zeigte sich, dass die kleinen Lokomotiven an ihre Leistungsgrenze kamen und es wurde die erste vierachsige Lokomotive der Bauart Mallet (s. z.B. [5]) angeschafft. Steigende Lasten bedeuten aber auch die Notwendigkeit einer leistungsfähigen Bremseinrichtung und so wurden die Personenwagen mit der Görlitzer Gewichtsbremse ausgerüstet, einer Einrichtung, die über ein oberhalb der Dächer geführten Seils betätigt wurde.
Die Betriebsergebnisse waren allenfalls zufriedenstellend und so kam der Wunsch auf, durch die Verlängerung der Strecke bis nach Duderstadt das Verkehrsaufkommen zu steigern. Der aufmerksame Leser ahnt, dass die zuvor geschilderten Schritte zur Erweiterung der Konzession ein weiteres Mal zu begehen waren. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Graf Görtz-Wrisberg aus Rittmarshausen, die Gemeinden Beienrode und Nesselröden sich bereit erklärten, Grund und Boden kostenlos abzugeben. Schließlich wurde die Verlängerung über Kerstlingerode-Beienrode-Etzenborn-Nesselröden-Westerode nach Duderstadt geführt, wobei die Staatsbahnstrecke Wulften-Leinefelde auf einer imposanten Brücke bei Westerode überquert werden musste. Für den Bau der aufwendigen Strecke sollen 300 Arbeiter eingesetzt worden sein, darunter etliche Gastarbeiter deren Unterbringung nicht ganz einfach gewesen sein soll ([1], S.55). Logischerweise musste nun auch der Fahrzeugpark aufgestockt werden; es wurden zusätzlich eine weitere leistungsfähige Malletlok, 4 Personenwagen, ein Gepäckwagen und 13 Güterwagen angeschafft. Betriebliche Probleme verzögerten die Inbetriebnahme und ohne Eröffnungsfeier wurde der Verkehr Richtung Duderstadt am 20 Juni 1907 aufgenommen. Es verkehrten anfangs täglich 4 Personenzugpaare, die Güterwagen mit sich führten. Wenn auch die Etzenborner gejubelt haben sollen, dass die Reisezeit nach Göttingen von 5 Stunden auf etwa die Hälfte gesunken war ([1], S. 55), so war doch die Gesamtfahrzeit von ca. 2h 43min alles andere als attraktiv und bescherte kaum zusätzliche Einnahmen. Die Reisegeschwindigkeit wurde daher punktuell erhöht und später auch die 4. Wagenklasse eingeführt.
(Viel Betrieb in Waterloo, Foto: D. Luckmann, Sammlung Bauersachs)
Der zweite Konkurs der Zuckerfabrik in Rittmarshausen im Jahr 1911 führte zu deutlichen Verlusten. Mit einer Notsanierung, der Neuaufnahme von Darlehen, aber auch mit der Frachtkostensenkung für Ziegeleiprodukte einerseits und der Tariferhöhung für Reisende andererseits wurde versucht, den drohenden Konkurs abzuwehren. Schließlich wurde mit dem Verkauf des Bahnhofgebäudes Lindenkrug begonnen, das Tafelsilber zu verschleudern!
Zum ultimativen Schritt wurde die Einstellung des Verkehrs auf dem Duderstädter Zweig im Jahr 1922, blieben doch die Einnahmen aus der Streckenerweiterung anhaltend hinter den Erwartungen zurück. Von einer vollständigen Streckenschließung wurde wegen des hohen Frachtaufkommens von landwirtschaftlichen Produkten, aber auch nicht zuletzt wegen der Steinbrüche bei Waterloo und Diemarden abgesehen ([1], S.74). Nach Protesten wurde der Zugbetrieb auf dem Duderstädter Zweig nach zwei Jahren wieder aufgenommen. Mit einer Charmeoffensive umwarb die GTB die Kunden: die Personenwagen wurden mit elektrischem Licht, mit einer Dampfheizung und mit Aborten (!) ausgestattet und besondere Ausflugskarten wurden ausgestellt. Leider zog das wachsende Kraftpostnetz Ausflügler ab und es kam, wie es kommen musste, der Duderstädter Zweig wurde 1931 endgültig stillgelegt.
(Lok 5 im Bahnhof Rittmarshausen, Foto: D. Luckmann, Sammlung Bauersachs)
Hatte unsere Kleinbahn dereinst den Postkutschenrouten nach Bremke bzw. Kerstligerode den Garaus gemacht, so erleichterte ab den 30iger Jahren nun die z.T. parallel verlaufende Landkraftpost sie um ihren postalischen Auftrag und beraubte sie auch um den einen oder anderen Reisenden.
Den großen Rahmen setzte aber, wie schon erwähnt, der Weltenlauf. Die beiden Weltkriege bescherten zum Kriegsdienst gerufene und zum Teil gefallene Personale, der Betrieb wurde mit den alten Mitarbeitern und frisch entlassenen Schulabgängern aufrechterhalten. Für die Streckeninstandsetzungen aber wurden und das soll nicht verschwiegen werden, während des 2.Weltkrieges Kriegsgefangene eingesetzt. Der Zwangsabgabe von Fahrzeugen konnte man entgehen, dem Verschleiß der Triebfahrzeuge begegnete man 1943 mit dem Kauf einer leider ebenso abgewirtschafteten Lok der Eisenbahnpionierschule in Brandenburg.
Ein neuer Anfang mit neuen und alten Probleme
Nach einer Unterbrechung von fünf Wochen wurde nach Kriegsende der Betrieb wieder aufgenommen. Die Hamsterfahrten bescherten der Bahn zunächst eine deutliche Umsatzsteigerung. Jetzt redeten aber auch die Briten durch die Reichsbahndirektion in Hannover mit in die Betriebsführung hinein, während, viel schwerwiegender, gleichzeitig die neue, nahe Grenze immer unpassierbarer wurde. Schließlich verlor das obere Gartetal praktisch sein Hinterland und die Bahn Reisende und Transportgüter. Die Finanzlage verschlechterte sich erneut, nicht zuletzt durch die Währungsreform (Einführung der Deutschen Mark mit folgender Abwertung). Der zunehmende Individual- und Lastkraftverkehr reduzierte die Einnahmen. Mit Darlehen, dem Erlass von Steuern und Zuschüssen rettete man sich durch die Zeit. Die Strecke wurde saniert, die alten Loks wurden verkauft und mit der Anschaffung von drei nagelneuen Heeresfeldbahnloks, die nun ihren Friedensdienst verrichteten, blickte man vermutlich etwas zuversichtlicher in die Zukunft; es wurde - man mag es kaum glauben - über die Wiederaufnahme des Betriebs nach Duderstadt nachgedacht.
Letztlich blieben aber die bekannten Probleme bestehen. Landwirte begannen ihre Zuckerrüben direkt, z.B. in Obernjesa, abzuliefern, Kraftpostlinien, nicht zuletzt eine eigene GTB-Buslinie (!) machte Züge überflüssig, der Fahrplan wurde ausgedünnt und der stetige Abstieg begann. Der Kauf eines modernen Triebwagens für gering nachgefragte Zugverbindungen war nur ein scheinbarer optischer Lichtblick, kam er doch gebraucht von einer aufgelassenen Kleinbahn und war damit eigentlich gleichzeitig ein Indikator für das in Deutschland einsetzende Kleinbahnsterben.
(Wo mag`s wohl sein?, Foto: D. Luckmann, Sammlung Bauersachs)
Schließlich beschloss die Gesellschaftsversammlung der Gartetalbahn A.G. am 27. April 1957 die Aktiengesellschaft aufzulösen, eine nachvollziehbare Entscheidung, die durch ein Gutachten vom Mai des Jahres untermauert wurde. Danach beliefen sich die Bilanzverluste in den 8 Jahren nach der Währungsreform auf über 300000 DM, den Aktien des Landes Niedersachsen wurde keinerlei Wert beigemessen ([1], S.136ff).
Die Befreiung von der Beförderungspflicht durch das Niedersächsische Wirtschaftsministerium ließ jedoch auf sich warten und so verrichtete unsere Kleinbahn, wie eh und je, zufriedenstellend ihren Dienst. Gleichzeitig konnte sie sich im Filmruhm sonnen und sich von ihren in Scharen kommenden Freunden bewundern und feiern lassen. Wie sehr die Bewohner des Landkreises und auch die Bewohner auf Zeit, die Studenten, an der Bahn hingen, zeigt die Anzahl der letzten Fahrten, die mit ihren auf den Dächern mitreisenden Enthusiasten in die Lokalgeschichte eingingen. Allein am Himmelfahrtstag sollen es 600 Mitreisende gewesen sein und auch der schließlich letzte Dampfzug am 30. Oktober 1957 mobilisierte 300 Mitfahrer.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Triebwagen noch einige Betriebsfahrten unternahm; für den noch etwas länger aufrechterhaltenen Güterverkehr musste dann aber für die letzte Rübenkampagne 1958 schon eine Lok der Kleinbahn Osterode-Kreiensen ausgeliehen werden. Der Triebwagen hatte die traurige Aufgabe die Strecke abzubauen, die letzten Abbrucharbeiten zogen sich bis 1960 hin. Die gummibereifte Gartetalbahn tat, nun im Auftrag des Landkreises Göttingen, bis zum 31. Dezember 1982 ihren Dienst.
(Lok 5 aus Osterode kommt zu Hilfe, Foto: D. Luckmann, Sammlung Bauersachs)
Ergötzliches
Was aber wäre eine Chronik für einen Heimatverein ohne die eine oder andere Anekdote oder Schnurre, wie die Gründerväter unserer Kleinbahn zu sagen pflegten. Über die Kapriolen der Studenten ist in Wort, Bild und Film schon an anderen Stelle genügend berichtet worden und so wenden wir uns der Gartetalbahn als Filmstar zu. 1957 drehte die Arca Filmproduktion ([4]) den Film „Der tolle Bomberg“ ([6]) mit Hans Albers in der Hauptrolle. Die Schmiere tat was sie immer tat, sie hübschte die Fahrzeuge auf. Die Personenwagen wurden kanariengelb gestrichen, die Lok Nr. 5 bekam ein grünes Farbkleid. Altgeselle Heinrich Strassmann der Göttinger Klempnerei Binder fertigte einen Schornsteinaufsatz für die Lok um ihr ein urtümlicheres Aussehen zu verleihen. Während der Durchfahrt von Benniehausen ergriff aber Lokführer Otto Ölke, im Verborgenen wirkend, den Regler mit Macht und der falsche Schornstein flog zur Freude der Zuschauer in den blauen Benniehäuser Himmel.
Es begab sich aber, dass an einem der Drehtage August Schneemann aus Baienrode als Streckengänger unterwegs war. Als er an ein für die Dreharbeiten aufgestelltes Signal stieß, wähnte er einen Streich der „Wöllmarshäuser Lausebengels“, wie er mir 1995 berichtete. Flugs legte er das Signal um. Er hatte aber nicht mit dem „blonden Hans“ gerechnet, der ihm wegen der geschmissenen Szene in die Parade fuhr. August klärte ihn über seine Aufgaben als Streckengänger auf, Hans Albers entschuldigte sich und lud ihn zum Frühstück zu Ludchen Schachtebeck in Klein Lengden ein, wie er damals, noch nachträglich hochzufrieden, berichtete. Unterdessen hatte Herbert Günther in Wöllmarshausen mit seinen Mitschülern am Frauenholz Aufstellung genommen, um dem Spektakel beizuwohnen und dem berühmten Filmstar zuzusehen. Ob die Kinder wohl sehr enttäuscht waren, dass Albers sich bei seinem Ritt wieder einmal doubeln ließ?
Es war die Zeit der Heimatfilme, Deutschland schwelgte in der Wirtschaftswunderzeit, eine Zeit, die für die Gartetalbahn nicht mehr kommen sollte. Und schon bald sollten die ersten Automobilisten von Chöttingen aus nicht ins Chachtetal aufbrechen, sondern nach Italien.
Wenn unsere von vielen geliebte Kleinbahn auch die für ursprünglich 99 Jahre geltende Konzession nicht ausfüllen konnte, so haben doch viele ihrer Freunde sie nicht vergessen und werden am 7.12.2022 auf ihren 125. Geburtstag anstoßen.
(Otto Oelke im regulären Dienst, Foto: D. Luckmann, Sammlung Bauersachs)
Nachsatz
In den 50er Jahren kamen die ersten Eisenbahnfreunde, die die Gartetalbahn bildlich für die Nachwelt erhalten wollten, ihnen und hier sei besonders Detlef Luckmann genannt, verdanken wir viele unschätzbare Fotos oder sogar Filmszenen. Ein ganz besonderer Dank gilt Karl Burmeister, der mit seinen Vorträgen über die GTB bei den „Eisenbahnfreunden Göttingen“ beim Verfasser die Begeisterung geweckt hat, sich auch heute noch mit ihr zu beschäftigen und der mit seiner akribischen Dokumentation ([1]) der Bahn ein großartiges Denkmal gesetzt hat. Ohne dieses Buch wäre die hier vorliegende, kleine Abhandlung, der geneigte Leser möge die eine oder andere Länge entschuldigen, gar nicht möglich gewesen.
Manfred Bauersachs, Göttingen im Juli 2022
(Rittmarshausen am 28.12.1952, Foto: H.-J. Sievers, Sammlung Bauersachs)
[1] Karl Burmeister: Göttinger Kleinbahn AG – Chronik der Gartetalbahn, Verlag Göttinger Tageblatt GmbH & Co, 1987
[2] Mit dem Maikäferexpress durch´s Gartetal 1941 https://www.youtube.com/watch?v=lhPftVTpwmohttps://
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Lenz_%26_Co.
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Arca-Filmproduktion
[5] https://dewiki.de/Lexikon/Mallet_(Lokomotive)
[6] Der tolle Bomberg: ein westfälischer Schelmenroman von Josef Winckler
[7] Archiv der Familie Rohrmann, Steinsmühle
[8] Hans-Wilhelm Wiesemüller: Chronik von Nesselröden, 1977, Mecke Druck u. Verlag, Duderstadt