Benniehausen ab 1900
Das Leben der Kinder in Benniehausen im 2. Weltkrieg
Lieber Leser, in diesem Text sind Momente aufgeschrieben, die so geschehen sind. Es sind Erinnerungen von Mitbürgern, von Zeitzeugen, es sind Erlebnisse von Kindern. Natürlich ist es kein Spiegel dieser Zeit. Einer Zeit, die für uns nicht vorstellbar ist. Eine Zeit die lange vergangen scheint.
70 Jahre ist das Kriegsende her. Auch diese Ereignisse sind Teil unserer Dorfgeschichte.
An unserem Dorf ist der 2. Weltkrieg nicht spurlos vorübergegangen. Jedoch haben die Gräueltaten, die Hungersnot, die Judenverfolgung und die Zerstörungen sowie die Schreckensnachrichten über diesen Krieg auf das Leben in Benniehausen keinen bzw. nur wenig Einfluss gehabt. Der Grund dafür war nicht etwa Desinteresse, sondern schlicht und einfach sehr wenig, falsche oder mangelnde Information. Dazu kommt die Lage Benniehausens; das Dorf war nie ein Kampfgebiet. Erst zum Ende des Krieges wurde es gefährlich.
Das Kriegende ist heute (2015) 70 Jahre her. Ein Grund von der Ortsheimatpflege einmal unsere älteren Einwohner, die letzten Zeitzeugen, zu fragen:
„Wie war das damals?“
„Wie habt Ihr den Krieg erlebt?“
Unsere Zeitzeugen waren damals noch Kinder.
Vom ersten Tage an wurde alles rationiert, wie z.B. Lebensmittel, Baustoffe u. Arbeitsmaterialien. Die Ernährungslage war trotzdem gut. Die Dorfbewohner konnten sich weitgehend selber versorgen. Jeder hatte einen kleinen Gemüsegarten, zum Beispiel am“ Schießstand“ und oberhalb der Mühlenstraße, darüber hinaus meist auch Kleinvieh wie Karnickel, Hühner, Gänse teilweise auch Schweine, Kühe und Ziegen. Der Gemüsegarten hinter Hitzing gehörte der Familie Lockemann, die auch das Obst und Gemüse auf dem Markt in Göttingen verkauften. Nach dem Krieg wurde auch der jetzige Bolzplatz als Schrebergärten für die Flüchtlinge genutzt.
Die Verteilung der Lebensmittel wurde streng überwacht. Der Ortsbauernführer und Bürgermeister Eckhardt (von der NSDAP eingesetzt) verteilte die Lebensmittelkarten für Milch, Fett, Mehl und allen anderen Dingen des täglichen Bedarfs.
Besonders genau beobachtet wurden die Schlachtungen von Schweinen. Die Termine für die erlaubten Schlachtungen wurden bekannt gegeben. So nutzte mancher Bauer den Tag vor einem offiziellen Termin für eine „Schwarzschlachtung“. Das tags zuvor geschlachtete Schwein wurde dem offiziellen Schwein einfach beigelegt. So hatte manches Schwein zwei Herzen, vier Nieren und war außerordentlich gut genährt.
In der Schule lehrte der Lehrer Alfred Heinemann. Die Schüler begannen den Unterricht mit aufstehen und „Heil Hitler“. Der älteste Schüler hatte die Aufsicht. Er musste dafür sorgen, dass es ruhig und gesittet zuging. Es herrschte ein großer Respekt vor dem Lehrer. Das waren kleine „Herrengötter“. Widerspruch, Nachfragen – das gab es nicht. Die Mädchen gingen zuerst zu den „Jungmädeln“, dann in den BDM (Bund deutscher Mädchen). Die Jungen zuerst ins Jungvolk, dann in die Hitlerjugend. Die Jungen lernten gehorsam, exerzieren, schießen und Kartenkunde. Die Mädchen haben gesungen und sich sportlich betätigt.
In dieser Zeit spielte die Kirche keine große Rolle. Konfirmationen waren nicht mehr gerne gesehen. Stattdessen gab es die Fahnenweihe.
Die alten Soldaten hatten einen Schein zuhause, der besagte, an welchem Mobilmachungstag sie dabei waren. Otto Hitzing war von 1. Sept. 1939 beim Polenfeldzug dabei, wurde verwundet und frühzeitig entlassen. Die Landwirte Hermann Eckhardt (Bürgermeister), Rudolf Otter, Heinrich Wedekind und Ernst Lockemann wurden nicht eingezogen. Die Gründe hierfür waren entweder das Alter oder sie mussten zur Aufrechthaltung der Versorgung die Landwirtschaft weiter führen.
Bei Kriegsbeginn gab es 2 Autos in Benniehausen. Ernst Lockemann hatte seit 1928 einen Hansa und der Bäcker Gustav Sohl einen DKW Baujahr 1936, den er während des Krieges behalten durfte. Dieses Auto wurde bei einer Kriegshandlung nahe Groß Lengden völlig zerfleddert. Ortsgruppenleiter und Parteimitglied Heinemann (Lehrer) hatte sich vom Bäcker Sohl gegen Ende des Krieges (vermutlich wegen der Organisation des Volkssturms) nach Groß Lengden fahren lassen, dabei gerieten sie unter Beschuss. Beide flüchteten zu Fuß unversehrt über den Hengstberg zurück nach Benniehausen. Gustav Sohl holte später das zerstörte Auto zurück. Erst 1948 wurde das Auto mit Hilfe der Fa. Rustrat in Göttingen wieder hergestellt.
Einige Familien hatten einen Volksempfänger, einige sogar ein Blaupunkt-Radio. Die ganze Nachbarschaft kam zusammen, um zu hören, wie die deutsche Arme siegte. Wenn der Führer sprach haben viele andächtig gelauscht. Die NS-Propaganda-Maschinerie leistete ganze Arbeit. Den Endsieg hielten die meisten bis 1944 für möglich. Einige wenige Bürger waren besser informiert und hörten den Schweizer Sender „Beromünster“, was bei Todesstrafe verboten war. Die Angst wegen Wehrzersetzung angezeigt zu werden war groß. Trotz aller Gefahr wurde sich in geschlossenen Räumen über das Hitlerattentat unterhalten. Einige hatten bereits Anfang 1943, nach Stalingrad, Zweifel am Endsieg.
Der Lehrer Heinemann hatte die Aufgabe den Familien die Nachricht zu überbringen, wenn der Sohn, der Ehemann oder Vater gefallen war. Er zog dann immer seine braune Uniform an. Dann wusste das ganze Dorf es war wieder jemand tot, gefallen für das Vaterland. Die Namen der Gefallenen aus dem ersten und zweiten Weltkrieg, einschließlich der gefallenen Flüchtlinge, deren Angehörige im Dorf wohnten, sind auf dem Gedenkstein vor der Kirche verewigt, um zu erinnern und nicht zu vergessen.
Ein Telefon hatten zu der Zeit nur der Hof Lockemann und die Gaststätte zur Post (Rudolf Otter) als Diensttelefon der Deutschen Reichspost.
1939/40 kamen erste Zwangsarbeiter, Polen und Franzosen (Kriegsgefangene) in das Gemeindegebiet und wurden auf die Höfe verteilt sowie auf dem Saal von Schachtebeck in Klein Lengden untergebracht. Der Bürgermeister musste überprüfen, ob die Zwangsarbeiter auch nicht verbotenerweise mit am Tisch saßen. Von den ersten polnischen Zwangsarbeitern lernten die Kinder ein paar Worte Polnisch. Sonntags machten sich 10 - 12 Polen ein Feuer bei Lockemanns in einem kleinen Raum neben der Sägemühle und unterhielten sich. Sie wurden recht gut versorgt und saßen trotz Verbot oft mit ihrem Arbeitgeber an einem Tisch.
Mit Beginn des Frankreichfeldzuges kamen die ersten Evakuierten aus dem Saarland und dem Rheinland nach Benniehausen, so zum Beispiel die Familie Pöschke, die Großeltern von Uschi Baschek. Sie wohnten in dieser Zeit bei Sohls. Familie Buschmann war in Hannover ausgebombt und dann bei Wedekind untergekommen. In der heutigen Ferienwohnung von Kossors waren 13 Personen untergebracht. Der Bürgermeister ging von Haus zu Haus, hat den freien Wohnraum ermittelt und dann die Menschen einfach zugeteilt. Jeder Raum wurde genutzt; man rückte zusammen. Die Kinder aus Benniehausen fanden das alles spannend. Viele neue Kinder kamen so ins Dorf mit denen man spielen konnte.
Familie Hitzing richtete einen Luftschutzkeller für 10 Personen ein. Zur Ausstattung gehörte ein Ofen, eine Feuerpatsche und Gasmasken (heute noch vorhanden in der Feuerwehrhalle). Eine Feuerspritze und Sand standen auf dem Dachboden. Von außen wies ein weißer Pfeil den Weg in den Keller (heute noch sichtbar). Trieselmanns (Kossors) hatten ebenfalls einen Luftschutzkeller; haben diesen aber nie benutzt.
Im Graben bei der Brücke war Anfang 1945 eine 5 Zentner Fliegerbombe deponiert. Die geheimen Dokumente für die Sprengung waren bei Otters versteckt. Die Brücke sollte beim Einrücken des Feindes gesprengt werden. Fünf mutige beherzte Männer aus Benniehausen (u.a. Hermann, Gustav und Albert Sohl sowie Heinrich Trieselmann) vereitelten diesen Plan. Sie schleppten die Bombe nachts weg und versenkten sie in der Höhe von Gottwalds Haus in der Garte. Erst Anfang der 60er Jahren wurde die Bombe geborgen.
Bei einem Luftkampf über Niedeck am 24.03.1945 wurde auf dem Lockemannschen Hof das Heu über dem ehemaligen Kuhstall in Brand geschossen. Als die Bomben oberhalb des Eichenkrugs fielen, war Heinrich Trieselmann „Im Mühlengrund“ beim Reiser abfahren. Vermutlich hielt der Pilot die Reiserhaufen für getarnte Panzer und warf deshalb die Bomben ab. Heinrich Trieselmanns Pferd kam alleine zurück. Auf dem Lärchenberg, bei der Eiche, wurden 2 Bomben abgeworfen. Durch die aufgewirbelte Erde wurde es ganz dunkel im Dorf. Eine weitere Bombe fiel an der Laube auf der Straße nach Gelliehausen. Am Mittelweg, auf dem Lärchenberg, fielen weitere 12 Bomben. In die Trichter hat man tagelang die Überreste des abgeschossenen Flugzeugs, aus der Luftschlacht über Niedeck, gebracht. Die Flüchtlinge haben sich aus dem Ton, der in den Bombentrichtern zum Vorscheinen kam, Gefäße getöpfert.
Schließlich standen Amerikaner mit Panzern vor Benniehausen. Sie kamen von Klein Lengden in das Dorf herein. Herr und Frau Wagner wohnten damals in dem ersten Haus mit der Nummer 1 (heute Eigentum von Stefan Wille). Beide konnten ausgezeichnet Englisch sprechen und haben das Dorf friedlich an die „Amis“ übergeben.
Obwohl die Amerikaner als Befreier kamen, wurde jedes Dorf 3 Mal beschossen, wohl um jedem Widerstand entgegenzuwirken. In der Wiese vom ersten Haus richteten die Amerikaner eine Flakstellung (Fliegerabwehrkanone) ein und schossen von da in Richtung Nordhausen. Dabei wurde versehentlich „Deutsch / Schulzens“ Haus getroffen. Die Hausecke fiel ein. Rainer Schulze konnte sich noch gut an eine Besonderheit erinnern. Als sich der Rauch verzogen hatte und man wieder sehen konnte, lag oben auf dem ganzen Schutt mit verkohlten Balken eine heile Christbaumkugel. Das 2. Geschoss traf die Tischlerei Heidelberg, das 3. Geschoss ging nach Waterloo, da sollten angeblich noch deutsche Soldaten sein. In der Kohlgartenwiese errichteten die Amis 3 - 4 Batterien (Stellungen und militärische Einheit der Artellerie mit Geschützen).
Die Befreier übernahmen das Dorf. Alle Schusswaffen und Fotoapparate wurden eingezogen. Bei Hitzing war die Küche untergebracht. Durch die Versorgungstruppe kam der Bohnenkaffee nach Benniehausen. Das damals begehrte köstliche Getränk wurde auch an die Einwohner weitergegeben. Bei Lockemanns wurde die Kommandantur eingerichtet. Trieselmanns mussten ihren Hof verlassen und wohnten bei Heidelbergs. Sie durften nur eine Stunde zum Füttern auf den Hof. Als sie wieder zurück konnten war das Getreide vom Boden herunter in die I. Etage geschippt, zwischen die Äpfel.
Die Amerikaner warfen ihre Handgranaten in die Garte. Durch die Sprengung verendeten die Forellen, wurden an die Oberfläche getrieben, anschließend eingesammelt und verzehrt. Nach ca. 2 oder 3 Wochen zogen die Befreier weiter.
In den darauf folgenden Monaten normalisierte sich das Dorfleben langsam und es wurde auch wieder getanzt und gefeiert.
Die Diashow zeigt einige Aufnahmen aus dem Leben in den Kriegsjahren.
(Text: Katrin Wille und Heike Sauerland 10.2015, Quelle: Augenzeugenberichte / Interviews aus 2010 und 2015).